Schwester Karoline ist gegen Diskriminierung Homosexueller, für Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche und für die Ehe für alle

Michaela Balke
Nicola Wiebe

Wie Michaela Balke und Nicola Wiebe Schwester Karoline erlebt haben

Wir, Nicola Wiebe und Michaela Balke, kamen im August 1990 das erste Mal nach Chile und landeten „zufällig“ in Karolines bescheidenem Häuschen in der Poblacion in der Calle Justicia Social in Recoleta. Wir beide arbeiteten ein Jahr als Freiwillige, Nicola im Kindergarten Naciente und Hogar Dios con nosotros, Michaela in sozialen Institutionen in Nordchile. Nachdem wir unsere Studien abgeschlossen hatten, arbeiteten wir immer wieder bei Cristo Vive, beide mehrere Jahre als Geschäftsführerinnen von FCV Bolivia in Cochabamba, sowie mehrere Jahre direkt an Karolines Seite in der FCV Chile in Santiago. Auch sind wir beide aktive Mitglieder unseres Vereins Cristo Vive Europa. Wir haben also viele Jahre das Glück gehabt, Karoline , ihre vielen MitstreiterInnen und ihr Werk begleiten und unterstützen zu können. Wir haben sie dabei in verschiedensten Situationen erleben können. Wir möchten hier vor allem Zeugnis ablegen dafür, was wir an Karoline persönlich schätzen und warum sie für uns eine Wegweiserin und Vorbild geworden ist.

Über das grossartige soziale Werk, das Karoline mit ihren MitarbeiterInnen und UnterstützerInnen aus Deutschland in nunmehr 50 Jahren in den Bereichen Gesundheit, Kindererziehung , Ausbildung, Begleitung von behinderten Menschen,  Arbeit mit Obdachlosen und in der Drogenrehabilitation als integrative Dienste für arme und ausgegrenzte Menschen geschaffen hat, kann man auf unserer Website lesen. Was man hier nicht lesen kann, aber was wir besonders hervorheben möchten, ist Karolines Fähigkeit, in den drei Stiftungen in Chile, Bolivien und Peru und auch bei unserem Partnerverein Cristo Vive Europa die verschiedensten Menschen zusammenzubringen und zusammen solidarisch zu handeln. Besonders deutlich ist dies in Chile, wo die sehr polarisierten Schichten arm/reich, links/rechts, Menschen mit Mapucheabstammung/eher europäscher Abstammung selten zusammen arbeiten und leben. In der Fundación Cristo Vive (FCV) Chile arbeiten „linke“‘  Pobladores, Mütter der Kinder in den Kitas ohne grosse Schulbildung, gleichzeitig sitzen im Vorstand  einige Unternehmer aus einflussreichen chilenischen Familien und beraten die Finanzen der Fundacion oder helfen bei juristischen Fragen, Ärzte aus der Clinica Alemana arbeiten freiwillig im Gesundheitszentrum (CESFAM); der verstorbene Geschäftsführer, der vorher bei einem Erdölkonzern gearbeitet hatte, widmete sein Leben komplett der Fundación. Jeder gibt das, was er kann,  an Arbeitszeit, freiwilligem Engagement, Spenden oder findet einfach einen Sinn in der Arbeit in einem der Dienste der Fundación ohne Zwang, aber in gutem Geist.

Wir bewundern ihren persönlichen Mut in so vielen brenzligen Situationen:

Anfang der 90er Jahre, direkt nach der Diktatur in Chile, hörten wir, dass Karoline während der Diktatur Menschen versteckt hatte; immer wieder fragte sie bei den Militärs nach verschwundenen Menschen;  sie nahm an Demonstrationen gegen das Militärregime teil und wurde sogar einen Tag selber festgenommen. Auch hatte sie 1973 nach Beginn der Diktatur entschieden, nach Santiago in die Poblacion zurückzukehren, anstatt sicher mit ihrem damaligen Schwesternorden nach Deutschland auszufliegen. Auch entschied sie bis heute, in der Población zu wohnen, obwohl dort der Drogenhandel immer mehr zunimmt, und es vor ihrem Haus auch hin und wieder zu Schießereien kommt. In all den Jahren ließ sie auch ohne Angst diverse Jugendliche/junge Männer mit ihren Waffen (Messern, Schlagketten, etc) in ihr Haus eintreten, wenn diese sich entschlossen hatten, auf Gewalt zu verzichten.

Wir haben immer wieder erlebt, wie Karoline, egal wie müde oder erschöpft sie auch mal ist, jedem, dem sie am Tag begegnet, immer herzlich, mit viel Energie und Offenheit entgegentritt: sei es ein Gespräch mit einer Kollegin aus der Finanzabteilung, eine junge deutsche Freiwillige, eine Ministerin, ein Botschafter, eine Obdachlose; auf alle lässt sie sich ein im hier und jetzt.

Deutlich wird dies vielleicht auch an ihren Tagesabläufen, die wir häufig miterleben durften und die oft sehr „verrückt“  sind (hier in Stichpunkten): Beim Morgengebet  mit ihren Mitschwestern Maruja und Teresa – zu dem jeder eingeladen ist – verteilt sie an die Drogenabhängigen vor ihrer Haustür Milch und berät sie zu einer Berufsbildung; ein deutscher Freiwilliger möchte über ein eigenes Projekt in der Kita sprechen; angekommen im Büro: ein schwieriger Anruf beim Bildungsministerium – denn die staatliche Subvention für die fünf Berufsschulen ist immer noch nicht angekommen; eine Frau, die Arpilleras herstellt,  bittet um Karolines Meinung; 120 Emails aus Deutschland, Chile und Bolivien lesen und bearbeiten; ein Anruf, eine Pobladora sei bei einem Unfall gestorben: eine Trauerrede muss gehalten werden/den Angehörigen geholfen werden; schnell in den Jeep, zwischendurch noch der Sekretärin Carol ein paar Anweisungen zur Tagesordnung für die bevorstehende Vorstandssitzung geben; zurück im Büro, ein Obdachloser im Drogen-Reha-Zentrum ist schwer drogenabhängig: Anruf im Drogenrehazentrum Talita Kum  und Gesundheitszentrum CESFAM, Beratung über notwendige erste Schritte, welche Institutionen sollen kontaktiert werden; Vorstandssitzung zur Finanzlage der FCV, Planung des Geburstags der FCV mit 500 MitarbeiterInnen; zwischendurch Besuch einer Luxemburgerin, die die  FCV unterstützen möchte, natürlich auch ein persönliches Gespräch mit Karoline; Anruf aus Bolivien:  Anfrage, ob die Fundación mehr Schüler aus weiteren armen Dörfern im Internat aufnehmen könnte;  inzwischen ist es 19 Uhr, Maruja versucht Karoline zum Abendbrot nach Hause zu bewegen. Sie sagt, sie müsse noch einen Input geben bei einer Sitzung aller solidarischen Vereinigungen in Chile…. etc. Gegen 23 Uhr ist sie zu Hause in der Calle Justicia Social; zur Erholung (wie sie sagt) kocht sie dann gerne Aprikosenmarmelade, die sie uns allen dann als Mitbringsel nach Deutschland bringt. Solche Tage sind wirklich keine Seltenheit… und Karoline immer fröhlich und voller Kraft.

Durch Karolines Wirken in der Población, ergänzt durch diverse spannende Gespräche zu Glaubensfragen, in Gebeten und Andachten, haben wir auch eine ganz konkrete „Anwendung“ der  „Theologie der Befreiung“ kennengelernt. Karoline setzt sich ein für ein andere, eine nicht strafende Kirche, beugt sich oft nicht den kirchlichen Hierarchien und hinterfragt sie, wenn es geboten scheint. Auch bezieht sie in öffentlichen Interviews klar Stellung gegen die Diskriminierung von Homosexualität in der Kirche, setzt sich ein für Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche sowie für die Ehe für alle. Hierdurch hat sie unseren Glauben gestärkt und beigetragen, ihn zu behalten,  trotz aller haarsträubenden Entwicklungen in der Institution Kirche, die man besonders in der OpusDei-nahen katholischen Kirche in Chile erlebt.

Mit Karoline haben wir auch gelernt, etwas sofort zu tun, JETZT zu handeln, nicht lange aufschieben, nicht vielleicht, mal sehen, morgen…. Dabei auch besonders „das Unmögliche möglich zu machen“, auch wenn es lange dauern wird. Wie oft schwimmt sie selbst oder die Fundacion gegen den Strom. Beispiel:  wie oft hat sie das Thema „Finanzierung der Berufsbildung für Schulabbrecher versus  Finanzierung von grösseren Gefängnissen“ Politikern aller Richtungen vorgetragen;  oder nach einem schweren Brand im Gefängnis von Santiago sorgte sie mit dem Rechtsanwalt der Fundación zur Verteidigung der Rechte der Angehörigen der Verstorbenen, von denen viele noch nicht einmal ein Urteil bekommen hatten. All dies trifft nicht immer auf Verständnis.

Ein anderes wichtiges Element ist ihre Gabe und ihr unerschütterlicher Glaube, in allem einen Sinn zu sehen, irgendeine Deutung. Selbst im Tod ( „Heimgang“, wie sie immer sagt) von Menschen, in Dingen, die im Moment nicht klappen. In Bolivien gab es z.B. ständig Strassenblockaden, darum konnte Karoline manchmal nur schwer zur bolivianisch-chilenischen Grenze fahren; oft hätte sie fast ihren Flieger verpasst,  wurde dann aber z.B. von bolivianischen Militärs/Polizisten mitgenommen. Mit ihnen sprach sie während der Fahrt über Glauben und Gerechtigkeit.

Oder eine Anekdote auf dem Flughafen in Cochabamba: Einmal  vergaß sie ihre sehr volle Handtasche mit persönlichem Adressbüchlein, Notizen, auch recht viel Bargeld, Pass etc. auf einem der Flughafenwagen. Dort fand ihn Angelino, ein bescheidener Gepäckhelfer, und gab sie bei der Polizei ab und sorgte dafür, dass Karoline sofort kontaktiert würde, damit sie sich “keine Sorgen mache“. Dies rührte Karoline so, dass die Szene in der Presse erschien und sie nutzte dies sogleich, um den weit verbreiteten  Vorurteilen vom „stehlenden“ Bolivianer in Chile entgegenzuwirken.

Weitere kleine Episoden: Unzählige Male begleitete sie schwerkranke Menschen nachts und zu allen denkbaren Nacht- und Tageszeiten. In Bolivien fährt sie mit ihrem Jeep auch gerne mal durch Flussbetten, um rechtzeitig zu einer Dorfversammlung zu kommen. Als Michaelas Tochter geboren wurde, schlich sie sich nachts in die moderne überwachte Klinik in Santiago, um sie gleich als erste zu sehen und zu begleiten. Um mit dem schwerkranken chilenischen Unternehmer und langjährigen Wegbegleiter der Fundación, Jorge Fernandez,  in der Intensivstation einer Klinik zu beten, überzeugte sie das strenge Personal, dass menschliche Wärme das wichtigste zum Überleben sei.

Manchmal fährt sie Hunderte von Kilometern, um ihr wichtige Personen zu treffen, irgendwie ahnend, dass es auch das letzte Mal sein könne:  so wie gerade in diesem Sommer zu einer langjährigen Freundin in Berlin. Während  all ihrer vielen Aktivitäten vergaß sie nie, unseren Müttern in Deutschland etwas mitzugeben: einen Gruß, ein kleines Lapizlazuli-Kreuz . Immer noch Karfreitags organisiert sie in Santiago die Karfreitagsprozession durch das ehemalige Folterzentrum Villa Grimaldi, um weiterhin auf die Verschwundenen und Gefolterten der Diktatur aufmerksam machen.

Trotz aller ernster Situationen lacht sie oft, erzählt gerne Anekdoten auch über sich selbst, feiert und tanzt gerne.

Durch all diese Erlebnisse sind Karoline, die Stiftungen in Lateinamerika und unser Partnerverein Cristo Vive Europa ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens geworden. Zur Zeit sind wir beruflich nicht in den Fundaciones in Lateinamerika tätig , aber wir versuchen den  „Geist von Cristo Vive“ weiterzutragen, damit es auch an anderen Stellen „Cristo Vive“ gibt und wir richten unser eigenes Handeln immer wieder an ihrem Beispiel aus.

Für all dies danken wir Karoline von Herzen!

Nicola Wiebe und Michaela Balke