Katholisch und evangelisch

Helmut Frenz, Pastor i.R., ehemaliger Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile, langjähriger Geschäftsführer von Amnesty International, +2011

Ich kenne Schwester Karolina Meyer seit 1970, als ich als Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile meinen Dienst in Santiago antrat. Damals begann unter der Regierung des sozialistischen Präsidenten Dr.Salvador Allende die hoffnungsvolle Aufbruchsstimmung für die im Elend lebende Bevölkerung Chiles. Zu dieser Zeit hatte Schwester Karoline Meyer bereits ihr erstes christliches Sozialwerk  „Missio“ gegründet. Karoline Meyer lebte von Anbeginn an selber inmitten der armen Bevölkerung in einer Armensiedlung am Rande der Millionenmetropole Santiago. In bewundernswerter Weise. Karoline ist nicht nur solidarisch mit den Armen; sie ist und lebt als Arme unter und mit den Armen. Das macht ihre Arbeit so glaubwürdig. Und so zieht sie immer wieder  Menschen in ihren Bann, die von ihrem Lebensstil, von ihrem lebendigen Glauben, von ihrer Hingabe an andere überzeugt sind. Karolines Glaube ist ansteckend.  Ihr tätiger Glaube wirkt wie Hefe. Sehr schnell bildet sich um sie herum eine Gemeinschaft von Menschen, Frauen und Männern, Jungen und Alten,  die ihr Werk bewegen und beflügeln. Ihr Glaube an Christus, den Heiland und Erlöser, ist ganz und gar tätiger Glaube. Karoline Meyer ist katholische Ordensfrau. Doch das merkt man ihr niemals an. Als evangelischer Christ kann ich nicht anders, als  Karoline eine „hingebungsvolle Jüngerin Christi“ zu nennen. Wichtig ist ihr nicht eine „konfessionell organisierte Kirche“; was Karoline braucht, ist die Gemeinschaft derer, die in der Nachfolge Christi stehen, so dass Christus lebt.

Hier eine Episode, die ich mit ihr erlebt habe: Im Jahre 1974 – also zur Zeit der schlimmsten Verfolgung in Chile durch die Militärdiktatur Pinochets – rief mich Schwester Karoline an: „Helmut Du musst mir wieder einmal helfen. In meiner Armensiedlung „Angela Davis“ benötige ich unbedingt eine einfache Hütte als Krankenstation zur Behandlung meiner Kranken. In deiner Gemeinde gibt es einen Sägewerkbesitzer. Frag doch einmal, ob er uns nicht eine Fuhre von den Rindenbrettern schenken kann, die für ihn ohnehin nur Abfall sind.“ Für mich war es ein Leichtes, diese „Rindenbretter“ zu beschaffen. Wenige Wochen später – es war in der Adventszeit – ruft Karoline mich erneut an: „Helmut, ich möchte dich bitten, am Heiligen Abend gemeinsam mit dem (katholischen) Bischof Jorge Hurtón unsere neue kleine Kapelle zu weihen. Es soll eine ökumenische Kirche sein.“ Natürlich sagte ich zu. Doch ich konnte es nicht unterlassen, etwas nachzufragen:  „Karoline, die Bretter, die ich dir besorgt habe, waren doch für eine Krankenstation bestimmt. Du hast doch nicht etwa jetzt damit eine Kirche gebaut???“

Sie lachte: „Doch, doch! Aber die Kirche kann doch auch als Krankenstation dienen!!!“

So ist Karoline. Am Heiligen Abend war ich dann pünktlich in „Angela Davis“. Wir haben vergeblich auf Don Jorge gewartet. Die Militärs hatten ihn am Kommen gehindert. Was tun? Karoline ganz einfach: „Helmut, dann machst Du das eben alleine! Aber bitte ökumenisch – evangelisch und katholisch!!“ Also weihte ich diese Kapelle „katholisch und evangelisch.“  Bitte fragt mich nicht „Wie?“

In der schlimmen Zeit der politischen Verfolgung durch die Militärs hat Schwester Karoline selbstverständlich ungezählte Menschen in ihren Amensiedlungen versteckt und damit gewiss vor dem Tod oder vor der Folter bewahrt. Sie ist Lebensretterin für sehr viele Menschen geworden. Dass  Karoline ein Tatmensch ist und ein außergewöhnliches Organisationstalent, ist inzwischen überall bekannt, bewundert und von Mitarbeitern „gefürchtet“, denn sie verlangt  viel. Dass Schwester Karoline aber auch eine warmherzige und verständnisvolle Seelsorgerin ist, wissen eigentlich nur diejenigen, die bei ihr Trost und seelische Zuflucht gesucht und gefunden haben. Ich kenne ein jetzt schon betagtes Ehepaar, das in der Zeit der Verfolgung sich als Liebespaar bei Karoline  versteckt hatte. Um sich zu retten, mussten sie sich trennen. Niemand wusste für wie lange Zeit. Sie hätten so gerne geheiratet. Doch sie durften sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Heute sagt dieses Ehepaar voll demütiger Dankbarkeit: „Uns hat Schwester Karoline getraut! Und deshalb hält unsere Ehe auch!“  Ich weiß nicht im Detail, was Karoline damals gemacht hat. Karoline hat einfach und menschlich geholfen, damit Christus lebt.